Schon nach den ersten Kilometern in Kaliningrad verfestigt sich bei uns die Überzeugung, dass in der Sowjetunion und auch in der heutigen Russischen Föderation die beiden Disziplinen Stadtplanung und Verkehrsplanung gegeneinander konkurrieren. Mit jedem Projekt scheinen die Vertreter der einen Disziplin den Vertretern der anderen Fachrichtung ihren Willen aufzwingen zu wollen. Koste es was es wolle und ungeachtet der Konsequenzen für die Menschen.
Anders ist es kaum zu erklären, dass zum Beispiel in der Mitte einer vierspurigen Trasse neue Häuser errichtet werden können, welche dann vom Verkehr rechts und links einspurig umflossen werden. Um das Hindernis in der Mitte der Straße zu umfahren, müssen die Fahrzeuge natürlich vorher noch Straßenbahngleise queren, um hinter dem Hindernis erneut über selbe auf die alte Straßenführung zurück zu kommen. Wem die täglichen Gefahren des Lebens nicht genügen, der baut sich und seinen Mitmenschen eben künstlich neue…
Am Ende des Tages sind wir vom ersten Eindruck den die Stadt hinterlässt sehr überrascht. Zum einen erscheint die Hoffnung etlicher Einwohner der Stadt reichlich naiv, dass in wenigen Jahren das Kaliningrader Gebiet wieder deutsches Staatsgebiet wird. Zum anderen überraschen die selbst für sowjetische Verhältnisse chaotischen Artefakte stadtplanerischer Tätigkeit. Zum Teil ist Bausubstanz aus der Vorkriegszeit bei der Neubebauung von Kriegsbrachen berücksichtig worden, zum Teil scheinen die Entscheidungsträger willkürlich Typenbauten in ein Flurstück eingepasst zu haben, ohne den umgebenden Raum bei der Planung zu berücksichtigen. Als Schichtung kann man das wohl kaum mehr bezeichnen. Was für eine geschundene Stadt. Erst die Kriegsschäden, dann die allem Anschein nach weitgehend konzeptlose Neubebauung, ohne Rücksicht auf die Menschen, die in diesem Chaos wohnen müssen.
Wir werden im Stadtmuseum nachfragen, wer für die Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich war und in welchen Phasen der Wiederaufbau der Stadt erfolgt ist.