Obwohl uns die Bahnmitarbeiter in Helsinki in den Vortagen in intensiven und langen Diskussionen von unserem Vorhaben abbringen wollten, mit dem Lastenfahrrad per Eisenbahn Richtung russischer Grenze zu fahren, finden wir heute im Zug sehr schnell einen passenden Abstellplatz für das Fahrrad. Nach kurzer Rücksprache mit dem Schaffner stellen wir das Rad in den Zugangsweg zum Mutter-Kind-Abteil. Da dieser Weg sowohl für die Kinderwagen als auch Rollstühle recht breit ausgelegt ist, behindert das Rad den Zugang zum Abteil nicht.
Wir fahren mit dem Zug bis Lappeenranta und nach kurzer Stadtbesichtigung von hier aus mit dem Rad weiter Richtung Osten, Richtung russischer Grenze.
Auf dem Weg zur russischen Grenze fällt uns die schnell zunehmende, hohe Dichte russischer PKW im Straßenbild auf. Ebenso überrascht uns vor der Grenze die Vielzahl an Geschäften und Supermärkten entlang der Straße, die sich mit ihrem Angebot direkt und ausschließlich an russische Kunden wenden. In diesen Geschäften verkaufen Russisch-Muttersprachler mit Arbeitsvisum für Finnland ausschließlich russisch beschriftete Waren an Russen. Die Kunden zahlen mit roten und gelben Euro-Scheinen und erwarten keine Cent-Münzen im Rückgeld. Finnland als Billig-Einkaufsland für Russen. Im Vergleich zu den Endverbraucherpreisen in Deutschland sind die Preise in diesen Supermärkten jedoch keinesfalls günstig. Es erscheint uns recht skurril, dass ein großer Teil der auf russisch etikettierten Ware in Deutschland hergestellt wird. Warum Russen nach Finnland fahren, um hier gezielt in Supermärkten zum Beispiel in Deutschland hergestellten Buchweizen oder gar in Deutschland hergestellte Backwaren zu kaufen, erschließt sich uns vor Ort nicht. Die Mehrheit der angebotenen Waren werden auch in Russland hergestellt und sollten insbesondere vor dem Hintergrund der erst kürzlich erfolgten Abwertung des Außenwerts des Rubels gegenüber dem Euro in Russland deutlich preiswerter zu erwerben sein als in Finnland. Auf diesen Umstand angesprochen erklären die Verkäufer uns gegenüber aus der Ukraine zu stammen und deshalb keinen Überblick über die Preisstruktur von Alltagswaren in Russland zu besitzen.
Der Grenzübertritt mit dem Fahrrad über den Grenzübergang Nuijamaa erweist sich als überraschend problemlos. Wider Erwarten werden wir nicht herausgewunken und gesondert inspiziert. Es stellt sich im Gegenteil als schwierig heraus, konkrete Informationen über notwendige Deklarationen zur Ein- und Wiederausfuhr hochpreisiger Photo- und Videotechnik zu erhalten. Die russischen Zollbediensteten sind mit unseren diesbezüglichen Fragen sichtbar überfordert. Entgegen der eindeutigen und einschlägigen Informationen zu den diesbezüglichen Einfuhr- und Ausfuhrbedingungen in ihrem Schaukasten sind die Uniformierten der Meinung wir müssten für unsere Technik keine Zollerklärung abgeben. Da dies in den Vorjahren bei gleichlautenden Aushängen jedoch anders gehandhabt wurde, bestehen wir darauf zumindest einen Teil unserer Technik zu deklarieren. Die sehr speziellen Erfahrungen an den verschiedenen russischen Grenzübergangsstellen in den 1990er und 2000er Jahren brechen sich in diesem Zusammenhang im Unterbewusstsein wohl noch Bahn. Lieber ein offiziell gestempeltes Dokument zu viel, als eines zu wenig lautet hier das Motto aus der Erfahrung der Vergangenheit.
Da die Grenzabfertigung aufgrund unseres Wunsches nach freiwilliger Zolldeklaration deutlich länger gedauert hat als geplant, schaffen wir es an diesem Tag nicht mehr bis nach Vyborg und übernachten deshalb auf halber Strecke das erste Mal auf dieser Reise im Zelt am Ufer des Saimaa-Kanals.