Nach dem Besuch verschiedener Museen in Helsinki probieren wir heute unser Glück direkt am Ort des historischen Ereignisses — wir besuchen die Finlandia-Halle. Hier versuchen wir mehr Informationen über die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Erfahrung zu bringen, als uns das am Vortag im finnischen Nationalmuseum und im Stadtmuseum Helsinkis gelungen ist. Auch hier haben wir zu unserem Bedauern keinen Erfolg. Die Verwaltungsmitarbeiter des Gebäudes verstehen die Anlage als Veranstaltungsort und sich selbst als Dienstleister und haben keinen Bezug zur Geschichte des Ortes. Wir sollen uns gegebenenfalls an Lokalhistoriker wenden.
Ebenso wenig Glück haben wir an der Universität Helsinki. Hier sind unsere Ansprechpartner im Urlaub.
Als Ausgleich kommen wir mit einer Reihe von Finnen ins Gespräch und können mehr über die Lebensbedingungen der Menschen vor 1989 in Erfahrung bringen. Nach Meinung unserer Gesprächspartner war Finnland bis 1989 eine weitgehend geschlossene Gesellschaft und wirtschaftlich stark von der Sowjetunion abhängig. Mit dem Zerfall der Sowjetunion habe sich diese Situation stark gewandelt. Ohne den politisch starken Nachbarn im Osten hätte sich Finnland wirtschaftlich gegenüber den Mitgliedsländern der Europäischen Union verstärkt öffnen und der Europäischen Union letztendlich 1994 beitreten können. Diese wirtschaftliche Öffnung und Integration in den bis dahin ausschließlich westeuropäischen Staatenbund hätte zu einer Öffnung der finnischen Gesellschaft und zu einer weitreichenden Integration dieser in die Weltwirtschaft geführt. In Anbetracht der aktuellen politischen Entwicklungen in der Ukraine stiege jedoch die Angst vor einer erneuten Einflussnahme und Abhängigkeit Finnlands von Russland, weshalb eine Reihe entscheidender Politiker in Finnland den Beitritt des Landes zur NATO propagieren.
In den Augen unserer Gesprächspartner ist der Zerfall der Sowjetunion und die diesen Zerfallsprozess begleitende Öffnung der Grenzen in Osteuropa ambivalent. Auf der einen Seite sei mit der Auflösung der Sowjetunion ein starker und in Bezug auf Vertragsgestaltungen und ‑erfüllungen starker Partner von der politischen Bühne verschwunden. Auf der anderen Seite hätte die Öffnung der Grenzen zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion den finnischen Unternehmen jedoch eine Reihe von Handlungsoptionen eröffnet, die diese in den letzten 25 Jahren oftmals erfolgreich haben nutzen können. Mit dem steigenden Wohlstand als Folge verstärkter wirtschaftlicher Kooperation seien auch eine Reihe von Konflikten in den Hintergrund getreten, weshalb die Öffnung der Grenzen von unseren Gesprächspartnern als durchweg positiv bewertet wird.
Zu unserer erneuten Verwunderung wird auch auch von diesen Interviewpartnern keine Verbindung zwischen der politischen Ordnung des Nachkriegseuropas im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der wirtschaftlichen und politischen Integration des Kontinents nach 1990 gezogen. Der Prozess der politischen und wirtschaftlichen Transition der ehemaligen Planwirtschaften Mittel- und Osteuropas wird von unseren Gesprächspartner als völlig isoliert und abgekoppelt von vorhergehenden politischen Ereignissen und Prozessen bewertet.