Tag 25 — Von Häädemeeste nach Riga

Erst auf den letz­ten Kilo­me­tern durch Est­land fällt uns auf, dass wir zu wenige Bil­der gemacht haben. Vor allem feh­len uns Bil­der von Pro­fan­bau­ten, von Wohn­ge­bäu­den, von Fel­dern, Wäl­dern und Wie­sen, mit Hilfe derer Men­schen die noch nie in Est­land waren eine Vor­stel­lung davon bekom­men kön­nen, wie es in die­sem Land aus­sieht. Für uns waren die All­tags­ar­chi­tek­tur, die Gebäude jen­seits der his­to­ri­schen Bau­sub­stanz zu gewöhn­lich und unter­schie­den sich zu wenig von dem, was man in Deutsch­land fin­den kann. Auch die Kul­tur­land­schaft war uns zu dicht an der in deut­schen Lan­den, so dass uns das beson­dere fehlte, dass und zum Foto­gra­fie­ren und Video­dre­hen ver­an­lasst hätte. Nun feh­len uns diese Bil­der für die Nach­ver­wer­tung der Reise… Nun, es lie­gen ja noch sie­ben Län­der vor uns, mit ent­spre­chen­dem Bild­ma­te­rial aus die­sen Län­dern sollte man den Fehl­be­stand etwas kaschie­ren können.

Der Unter­schied zwi­schen Lett­land und Est­land fällt schon an der Grenze auf. Auf der est­ni­schen Seite wird man auf Schil­dern will­kom­men geheis­sen, auf die Ver­kehrs­be­din­gun­gen hin­ge­wie­sen und fin­det umfang­rei­che Infor­ma­ti­ons­ta­feln zum Land, den nächs­ten Sehens­wür­dig­kei­ten, Über­nach­tungs­mög­lich­kei­ten und zum Natur­schutz. Auf der let­ti­schen Seite — ein etwas in die Jahre gekom­me­nes Lett­land-Schild. Im Gegen­satz zu Est­land fin­det sich in Lett­land jedoch sofort ein Hin­weis­schild zum Europa-Rad­weg 13. Auch wenn die­ses auf den nach­fol­gen­den 100 Kilo­me­tern der Stre­cke eher spär­lich prä­sen­tiert wird und auch die Stra­ßen qua­li­ta­tiv deut­lich unter dem Niveau in Est­land liegen.

Über­ra­schen­der für uns ist der Umstand, dass sofort hin­ter der Grenze der kul­tu­relle Unter­schied zwi­schen den bei­den Län­dern in der Ver­hal­tens­weise der Auto­fah­rer zu erken­nen ist. In Est­land waren nahezu alle Fahr­zeug­füh­rer sehr zurück­hal­tend bei den Über­hol­ma­nö­vern, der Fahr­zeug­ab­stand war mög­lichst groß und sollte der Platz ein­mal zu knapp zum Über­ho­len gewe­sen sein, so wurde so lange mit dem Über­hol­vor­gang gewar­tet, bis sich eine gefahr­lose Mög­lich­keit ergab. Es wurde nicht gehupt und die all­ge­meine Fahr­weise kann als den Bedin­gun­gen sehr ange­passt beschrie­ben wer­den. Kaum in Lett­land füh­len wir uns an die Ver­kehrs­be­din­gun­gen in Russ­land erin­nert. Es wird gehupt, der Fahr­zeug­ab­stand beim Über­ho­len redu­ziert sich auf unter 20 Zen­ti­me­ter und ein gro­ßen Teil der Fahr­zeug­füh­rer ist sehr bemüht, so schnell wie mög­lich vor den gro­ßen Schöp­fer zu tre­ten. Aber auch die Sicher­heits­ab­stände zwi­schen den Autos kann man bes­ten­falls als Witz bezeich­nen. Bei Tempi um die 100 Kilo­me­ter pro Stunde in einer Kolonne von meh­re­ren Fahr­zeu­gen mit einem Abstand von jeweils unter einer Fahr­zeug­länge zu fah­ren — das ist nur noch als gemein­ge­fähr­lich zu bezeich­nen. Viel­leicht hat­ten die Fah­rer alle kein Phy­sik in der Schule. Oder waren gerade in die­sem Unter­richt häu­fi­ger krank. Wer weiss.

Wie schon in Est­land sind die Rad­wege als Alter­na­tive zur Straße zwar vor­han­den, für einen Tou­ren­fah­rer jedoch nicht zu gebrau­chen. Scharfe Kur­ven, häu­fige Bord­stein­kan­ten sowie Fahr­bahn­sei­ten­wech­sel machen diese Wege bes­ten­falls für ein­hei­mi­sche Rad­fah­rer ohne Gepäck und mit einer Fahr­leis­tung von weni­gen hun­dert Metern am Tag attraktiv.

Da die direkte Stre­cke zwi­schen der est­ni­schen Grenze und Riga lei­der wenig land­schaft­li­che Abwechs­lung bie­tet, fällt uns auf, dass Polen gegen­über Lett­land einen enor­men kom­pa­ra­ti­ven Kos­ten­vor­teil bei Last­ver­keh­ren haben muss. Nahezu alle LKW auf der Stre­cke zwi­schen Riga und der est­ni­schen Grenze haben pol­ni­sche Kenn­zei­chen. Aber ein Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler kann dies sicher­lich schein­bar plau­si­bel mit einem Mecha­nis­mus als Aus­druck eines freien, glei­chen und unver­zerr­ten Mark­tes darstellen… 😉